My Friend Charles,
der dem Kinofilm Interpol ruft Berlin (The Vicious Circle)
zugrunde liegende Mehrteiler, ausgestrahlt zwischen dem 10. März
1956 und dem 14. April 1956, jeweils an einem Montagabend zur besten
Sendezeit, war der fünfte TV-Mehrteiler aus der Feder von Francis
Durbridge und der dritte nach The Broken Horseshoe und
Operation Diplomat, in dem er einen Arzt zum Protagonisten wählte.
Diese Produktion ist insofern etwas Besonderes, als sie auch die letzte
war, die live produziert und nicht vor der Ausstrahlung aufgezeichnet
wurde. Weil das damals technisch auch nicht möglich war, ließ man sich
etwas einfallen, um die Geschichte für die Nachwelt zu „konservieren“:
nach Ausstrahlung des Fernsehmehrteilers wurde eine Kinofilmversion (mit
anderen Darstellern) produziert, die natürlich auch noch mal diejenigen
in die Lichtspielhäuser locken sollte, die nicht alle Teile im TV sehen
konnten oder gar kein Fernsehgerät besaßen.
So geschehen bei The Broken Horseshoe (TV- & Kinoversion 1952),
Operation Diplomat (TV 1952, Kino 1953), The Teckman Biography
(TV 1953, Kino 1954: The Teckman Mystery, dt. Titel: Der
Fall Teckman), Portrait of Alison (TV & Kino 1954) und eben
bei My Friend Charles (TV 1956, Kino: 1957: The Vicious
Circle, dt.
Titel: Interpol ruft Berlin). Letztgenannte Fernsehsendung wurde
von Alan Bromly produziert und inszeniert. Erwähnenswert ist hier, dass
Rupert Davies und Francis Matthews mitspielten, beide wurden später in
der BRD enorm bekannt. Ersterer als Georges Simenons Kommissar Maigret,
letzterer als Durbridges Paul Temple in der gleichnamigen
TV-Serie (1969-1971), für die ihn der Autor selbst als Hauptdarsteller
auserkoren hatte. Hier eine Übersicht über die Besetzung im Fernsehspiel
My Friend Charles und in der Kinofassung The Vicious Circle.
Person |
Darsteller TV-Fassung
1956: MY FRIEND CHARLES |
Darsteller Kinofassung
1957: THE VICIOUS CIRCLE |
Dr. Howard Latimer |
Stephen Murray |
John Mills |
Inspektor William Dane |
John Arnatt |
Roland Culver |
Ken Palmer |
Francis Matthews |
Derrek Farr |
Robert Brady |
Rupert Davies |
Wilfried Hyde-White |
Laura James |
Gillian Raine |
Noelle Middleton |
Geoffrey Windsor |
Bryan Coleman |
Lionel Jeffries |
Dr. George Kimber |
Geoffrey Chater |
Mervyn Johns |
Schwester Kay |
Anne Ridler |
Diana Lambert |
Ein
Nachteil der Kinofassung war natürlich, dass die berühmten
Cliffhanger-Effekte verloren gingen. Die einzelnen Folgen der TV-Fassung
hörten bei folgenden überraschenden Momenten auf: Latimer findet die
Schauspielerin ermordet in seiner Wohnung (Teil 1), Charlie ruft an,
Latimer wird niedergeschlagen (Teil 2), Mrs. Ambler taucht bei Latimer
auf (Teil 3), Mrs. Ambler wird ermordet aufgefunden (Teil 4), Geoffrey
Windsor ruft Latimer an (Teil 5).
Von allen elf für das Kino produzierten Durbridge-Krimis (dabei waren
auch vier Paul-Temple-Abenteuer und zwei deutsche Kinoproduktionen)
nimmt der im Frühjahr 1957 in den Beaconsfield Studios in Buckhamshire
gedrehte Film Interpol ruft Berlin die Sonderstellung ein, dass
Francis Durbridge für diesen Gerald-Thomas-Film selbst und alleine das
Drehbuch verfasste. Damit war gewährleistet, dass die originale
Geschichte im Wesentlichen unverändert blieb. Natürlich musste der Autor
bei einer Laufzeit von nur 80 Minuten (im Gegensatz zu rund 180 der
TV-Fassung) einige Abstriche machen. So wurde die Handlung um geringe
Züge vereinfacht, einige Personen weggelassen und – weshalb auch immer –
aus einem weiblichen Opfer ein männliches gemacht. Ansonsten muss
Interpol ruft Berlin wohl ziemlich genau die Handlung der TV-Fassung
wiedergeben. Das legt auch die Lektüre des 1963 erschienenen Romans
My Friend Charles (deutscher Titel: Charlie war mein Freund)
nahe, der - wie bei Durbridge üblich - stets auf Basis des Drehbuchs
entstand (und nicht wie fälschlicherweise fast überall zu lesen,
umgekehrt!). Diese in der Ichform und aus der Perspektive des Arztes Dr.
Howard Latimer erzählte verschriftlichte Fassung gibt im Großen und
Ganzen szenengetreu den TV-Film wieder und erklärt auch, warum
Durbridges Romane nie so erfolgreich waren, wie seine Mehrteiler im
Radio und Fernsehen: sie waren stets nur um die für einen Roman
notwendigen Erzählerbeschreibungen ergänzt worden, wobei die
Originaldrehbuchdialoge meist beibehalten wurden. Das erklärt auch die
Gesprächslastigkeit der Bücher. Die Figurennamen wurden in allen
Versionen beibehalten, wobei lediglich der Name des ersten Todesopfers
leicht variiert. In der Fernseh- und Originalkinofilmfassung hieß die
deutsche Schauspielerin Frieda Veldon, daraus machte man in der
deutschen Synchronvariante Fanny Felden. Im Roman nennt Durbridge das
Opfer Freda Velden. Dass der Arzt Dr. Latimer in der deutschen
Synchronfassung, die in den Aventin-Film-Studios München angefertigt
wurde, seinen alten Freund Charlie Kaufmann siezt, ist wohl auch ein
Lapsus des Dialogautors.
Bleibt zu erwähnen, dass nach Interpol ruft Berlin nie wieder ein
britischer Kinofilm nach Francis Durbridge gedreht wurde. Das lässt sich
leicht erklären: einerseits war es mittlerweile möglich, die Sendungen
auf Magnetband aufzuzeichnen, andererseits verkaufte die BBC die Rechte
an den Drehbüchern in verschiedene europäische Länder, wo man mit
einheimischen Stars eigene Versionen produzierte. Dies war auch aus
urheberrechtlichen Gründen nötig, denn die britischen Versionen durften
damals nicht synchronisiert werden. Auf diese Weise entstanden in
Deutschland, Italien, Frankreich, Polen, Schweden und Finnland unzählige
Varianten.
Text: © Dr. Georg P., Die Krimihomepage/ Die Francis-Durbridge-Homepage. |