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Biographie:
Francis Durbridge - Ein Unscheinbarer, der kein Blut sehen konnte |
Dieser
Text wurde von mir für die DVD-Veröffentlichung von "INTERPOL RUFT
BERLIN"
geschrieben und ist auch neben anderen Informationen über den Film, die
ebenfalls von mir stammen im Booklet als Bonus enthalten. Er darf ohne
meine Zustimmung nicht kopiert, oder wo anders wieder gegeben werden.
©
Dr. Georg P.
Ein Mann mit Glatze, stets korrekt und gut gekleidet, im Anzug
unauffällig, Nichtraucher. Er ging nie in Pubs und empfing selten zu
Hause Gäste, liebte das Reisen und das Theater und vor allem schnelle
Autos. Zuerst hatte er einen Jaguar, später einen flotten Mercedes.
Richtig Gas gab er damit jedoch nie, denn es passierte ohnehin genug,
wie der Brite einmal sagte. Außerdem konnte er kein Blut sehen, wie er
mehrfach in Interviews bestätigte. Das war Francis Durbridge, mit
Sicherheit der international erfolgreichste Kriminalhörspiel- und
Fernsehkrimiautor des 20. Jahrhunderts. Seine achtzehnteilige
Tim-Frazer-Serie von 1960/ 61 (bestehend aus drei in sich
abgeschlossenen Abenteuern) avancierte zum größten Krimierfolg der BBC
und auch in der BRD konnten die am 25. Jänner 1963 gemessenen 93 Prozent
Einschaltquote der sechsten Folge der ersten Tim-Frazer-Serie nie wieder
erreicht werden.
Durbridge war ein Mann, der mit penibler Genauigkeit und pünktlich wie
nach Bürozeiten seine Arbeit verrichtete. In seinem Arbeitszimmer
oberhalb der Garage seines familiären Landhauses "The Moat House" in
Walton on Thames in der Grafschaft Surrey Nahe Londons saß der
Hochspannungsmeister von ca. 8 oder 9 Uhr morgens bis zum Lunch und von
ca. 14 bis 18 Uhr und feilte an seinen Stücken, für die im deutschen der
Begriff „Straßenfeger“ geprägt wurde. Nur wenn wichtige Besprechungen
oder Termine anstanden, dann entfiel die Arbeit am Nachmittag. In der
heißen Phase der Stoffentwicklung oder der Endfertigung eines Werks
konnten es schließlich manchmal sogar 14 Arbeitsstunden pro Tag werden.
Der Schriftsteller, der es wie kein anderer verstand,
Überraschungseffekte und Wendungen in seine Arbeiten einzubauen und
mehrere Morde miteinander kunstvoll zu verknüpfen, gab sich stets größte
Mühe, das Publikum in die Irre zu leiten und es auf falsche Fährten zu
locken. Dafür nahm er sich genügend Zeit, denn Qualität brauchte diese
nun mal. Sechs Monate dauerte es in der Regel von der Grundidee bis zum
fertigen (Dreh)buch. Auf die Liebe zu seinem Beruf angesprochen sagte
der Meister der feindosierten Spannung einmal: „Ich wüßte nicht, was ich
sonst tun sollte! – Und außerdem: es ist für mich aufregend, die Leute
zu verunsichern, sie kombinieren zu lassen, wer der große Unbekannte
ist“. Dabei war das Schreiben harte Arbeit, ein mühevolles Denkspiel.
Durbridge dazu: „Ich kann mir kein Kriminalstück aus den Fingern saugen.
Es muss ausgedacht und fein gehäkelt werden. Stich auf Stich, Hieb auf
Hieb, Griff um Griff. Es ist manchmal Schwerarbeit, aber sie macht mir
Spaß“. Die Grundidee zu einem neuen Stoff kam dem Autor dabei häufig wie
ein „Blitz aus heiterem Himmel“. Allerdings brauchte es manchmal Tage
bis mehrere Wochen, bis die Grundpfeiler einer Geschichte geschaffen
waren und die Handlung langsam Gestalt annahm. Darin wurden dann die
handelnden Figuren eingewebt. Diese waren stets „ganz normale Menschen“,
meist aus dem Mittelstand, den Durbridge privat auch am besten kannte.
Aber selbst solche Vollprofis wie er hatten hin und wieder
Schwierigkeiten mit einer Geschichte weiterzukommen: „Manchmal sitze ich
stundenlang wie angedonnert da: man hat den Helden in einen Raum
hineinpraktiziert, aber wie zum Teufel kriegt man ihn wieder hinaus? Oft
denke ich zwei Tage lang nach, aber es kommt nichts. Aber dann ist es
plötzlich da“. War das Grundgerüst fixiert, griff der Schriftsteller zu
Bleistift und Papier, um die Rahmenhandlung niederzuschreiben. Die
Dialoge folgten erst viel später, es wurde dabei weiterhin korrigiert
und an der Story gefeilt. Beim Verfeinern der Geschichte kam es
schließlich auch noch darauf an, manche Verdächtige (scheinbar) zu
entlasten und andere verdächtig zu machen, damit ja niemand auf die
Lösung kam. Erst wenn die Story nach Meinung des Autors Hand und Fuss
hatte, wurde sie seiner Sekretärin auf Band diktiert. Diese war für ihn
der beste Maßstab, ob etwas ein Erfolg wurde oder nicht, denn auch sie
erhielt die einzelnen Tonbänder nur in Teilen - also so, wie sie später
als einzelne Radio- oder Fernsehfolgen realisiert werden sollten.
Fieberte seine Sekretärin gespannt mit, dann war für den Autor klar,
dass sein neuestes Werk wiederum zum Knüller werden würde. Später
änderte der erfolgreiche Schriftsteller seine Arbeitsweise ein wenig,
wie er 1977 in einem Interview erzählte: „Um punkt halb neun sitze ich
an meinem Schreibtisch. Ich schreibe mit der Hand, korrigiere es, tippe
es ab und schicke diese Rohfassung zu meiner Sekretärin, die tippt es
wieder ab, schickt es wieder zurück – so geht das vier- oder fünfmal“.
Wichtig in Durbridge-Krimis war immer das Unwichtige: scheinbar harmlose
Gegenstände rückten in den Mittelpunkt des Geschehens und wurden häufig
der Schlüssel zur Lösung. „Meist sind es unwichtige Details, die mich
zwingen, eine Geschichte weiterzuentwickeln, bis ein Stück daraus
geworden ist“, so Durbridge, dem man bereits in den 1960er-Jahren
nachsagte, damals rund 200.000 D-Mark jährlich zu verdienen. Schließlich
bediente er sich bei allen Werken auch eines einfachen Leitmotivs:
„Jeder lügt – nichts ist, wie es scheint!“. Auf die Qualität des jeweils
neuesten Stoffes angesprochen meinte er einmal recht unbescheiden: „Für
mich ist dieser Thriller einer meiner Besten – aber um ehrlich zu sein,
am besten finde ich immer den Krimi, an dem ich gerade arbeite.“ Auf
seine Berufswahl angesprochen, meinte der Autor einmal: „Ich hatte
einfach das Gefühl, dass ich das gut kann. Die Idee, nicht erfolgreich
zu sein, ist mir nie gekommen. Ich bin da so eingebildet wie Paul Temple.
Ich weiß genau, dass ich immer siegen werde. Denn wenn man schreibt,
muss man von sich selbst unbedingt überzeugt sein“. Er fügte aber auch
hinzu: „Ich weiß, dass ich nie ein Buch wie Graham Green schreiben
werde. Mir geht es da wie vielen Menschen. Das was ich mache, ist
sicherlich genau das, was ich eben kann“. Seine besonderen Fähigkeiten
bestanden darin – wie eingangs schon knapp erwähnt –, die Zuseher und
den Protagonisten an der Nase herumzuführen, harmlose Gegenstände ins
Zentrum des Interesses zu rücken, Briefe und Anrufe einzubauen, die den
Protagonisten verdächtig machten, scheinbar Tote wieder auferstehen zu
lassen und völlig unerwartete Wendungen einzubauen. Wichtigstes Element
bei Durbridge war jedoch der Cliffhanger am Ende jeder Episode, auf den
alles hingetrimmt wurde und der das Publikum atemlos zurück ließ. All
das verschleierte, dass Mr. Straßenfeger meist nur mit zwei oder drei
Verdächtigen auskam. Dafür sparte er meist nicht an Toten. Einer in den
1970er-Jahren erstellten Statistik zufolge entfielen auf einen
Durbridge-Krimi nämlich im Durchschnitt 3,142876 Leichen.
Der am 24. November 1912 in Hull in Yorkshire geborene Francis Henry
Durbridge, später mit einer Musikerin verheiratet und Vater zweier Söhne
(Stephen und Nicholas), verdankte seinen Erfolg seiner Liebe zu
klassischer Kriminalliteratur. Edgar Wallace hatte es ihm besonders
angetan und er wünschte sich als junger, noch unerfolgreicher Autor
lediglich, einmal halb so gut wie der britische Schriftsteller zu
werden. Dabei hatte er sich bis zu seinem 13. Lebensjahr gar nicht
überlegt, was er später einmal werden wollte. Mit 15 Jahren verfasste er
für einen Kurzgeschichtenwettbewerb an seinem humanistischen Gymnasium
in Bradford sein erstes Stück „The Great Dutton“, mit dem er als Sieger
hervorging. Später studierte er Volkswirtschaft und altenglische
Literatur in London und Birmingham und verdiente sich mit
Zeitungskritiken und Kurzgeschichten sein Geld. Seine große Stunde
schlägt, als Martyn C. Webster, ein wichtiger Mann bei der BBC, zufällig
hört, wie ein junger Mann namens Francis Durbridge einen selbst
geschriebenen Sketch vorträgt. Dieser gefällt ihm so gut, dass er den
Verfasser vom Stand weg engagiert. So entsteht sein erstes Radiowerk:
„Promotion“. Webster ist angetan von der Qualität des Durbridge-Stoffes
und so verwundert es nicht, dass er auf ihn zukommt, als er sich einen
neuen Radiodetektiv wünscht. Es sollte nämlich nicht immer nur Sherlock
Holmes sein, der in der BBC auf Verbrecherjagd ging. Es ist die
Geburtsstunde von Paul Temple, dem smarten Kriminalschriftsteller und
Hobbydetektiv, dessen kriminalistische Fähigkeiten so herausragend sind,
dass sogar Scotland Yard auf ihn zurück greift, wenn ein Fall besonders
aussichtslos scheint. Weltweit war Temple erfolgreich und wurde später
sogar zum Comic-, Film- und TV-Helden. Ein multimedialer Star sozusagen.
Auch im deutschen Sprachraum versammelten sich Millionen Zuhörer vor dem
Empfänger, wenn der Sprecher nach der berühmten spannenden
Eröffnungsmelodie verkündete: „Paul Temple und der Fall … - Ein
Kriminalhörspiel von Francis Durbridge – Sie hören heute den … Teil“.
Als das neue Medium Fernsehen eingeführt wurde, war klar, dass nur einer
für den ersten mehrteiligen Fernsehkrimi der BBC in Frage kam. Unter dem
Markennamen A Francis Durbridge Serial (ab 1959: Francis Durbidge
presents) kam daraufhin Jahr für Jahr ein neuer sechsteiliger
Straßenfeger auf die Bildschirme. Schon damals war die Geheimhaltung
über die Auflösung ein wichtiger Aspekt, was bei den ersten fünf
TV-Krimis, die zwischen 1952 und 1956 entstanden, nicht schwer war. Die
wöchentlich ausgestrahlten Folgen wurden seinerzeit nämlich noch live
gespielt und live gesendet. Woche für Woche wurde die neue Episode
geprobt, ehe sie zuerst am Samstag-, später am Montagabend live auf
Sendung ging. Die Darsteller bekamen immer nur die Skripts für die
jeweilige Folge und erlebten praktisch selbst erst bei der Ausstrahlung
mit, wer der Bösewicht war. Der Umstand, dass man direkt auf Sendung
ging brachte auch mit sich, dass man mit möglichst wenigen Schauplätzen
auskommen musste.
Text:
COPYRIGHT Dr. Georg P. 2014 |