Kriminalkommissar Jules Maigrets Stärke besteht darin, dass er sich auf das
jeweilige Ambiente, in dem der zu lösende Fall situiert ist, einlässt. Er
sammelt nicht einfach Indizien, sondern es kommt ihm immer auf die
psychologischen Zusammenhänge an. Er enthält sich jeglichen Urteils - er
betrachtet, versucht zu begreifen und verhaftet dann, wenn die Zeit dafür da
ist...
Die BBC
produzierte zwischen 1960 und 1963 zweiundfünfzig Kommissar-Maigret-Folgen, die allesamt auf den Originalromanen
(bzw. -erzählungen) des
belgischen Schriftstellers Georges Simenon basierten. Der britische TV-Sender
konnte weltweit als erster die Rechte an den so begehrten Romanen erkaufen und
verfilmte mit Rupert Davies die literarischen Vorlagen. Später wurden nicht nur
in Frankreich unterschiedliche TV-Krimiserien mit unterschiedlichen Darstellern
gedreht, auch die Italiener drehten die 18teilige Serie "Le inchieste del
commissario Maigret" (Regie: Mario Landi), in der "Peppone"-Darsteller Gino
Cervi aus den Don-Camillo-Filmen die Rolle des Kommissars übernahm. Georges
Simenon soll über diesen Maigret gesagt haben, er ähnle dem Maigret seiner
Vorstellung am Meisten. Das sagte er, wie unten zu lesen, aber auch über Rupert
Davies.
Seltsamerweise fiel
bei der deutschen Synchronisation nicht nur durch Umkopierung das typische
Studioflair der Originale weg, sondern auch die Originaltitelmusik von Ron Grainer (von dem auch das Paul-Temple-Thema stammte). Für die deutsche Version
komponierte Ernst-August Quelle (Titelmusik zur Aktenzeichen-XY-s/w-Sendung) die
Musik. Die deutsche Ausstrahlungsreihenfolge der Serie stimmt nicht mit der
Originalreihenfolge überein. Im Übrigen kaufte das ZDF Folgen nach, nachdem die
Serie hohe Einschaltquoten brachte.
Der folgende Text (leicht gekürzt)
entstammt dem Booklet des 2. DVD-Volumes, das bei Pidax erschienen
ist. Text: © Dr. Georg Piaigiiitiz
„Das
ist Maigret“ – Ein kurzer Blick hinter die Kulissen vom
Anfang bis zum Ende der Serie
In seiner 1981 erschienenen Autobiographie Mémoires intimes
erinnert sich der 1903 geborene Georges Simenon, der den ersten
Maigret-Roman mit 26 Jahren schrieb und nach dem 24. die
Reihe einstellen wollte, wie es zu der BBC-Serie kam: Ein
BBC-Verhandler erschien in Echandes, um bei ihm die Rechte für 52
Maigret-Romane für das Fernsehen zu erwerben. Die Bitte wurde
abgelehnt. Einige Monate später erschien ein anderer nicht genannter
BBC-Mann. Die Verhandlungen verliefen diesmal gut und der britische
Sender erhielt den Zuschlag, allerdings nur mit einigen
unabdingbaren Klauseln im Vertrag.
Das Wichtigste war die Besetzung. Als Produzent Andrew Osborn
Georges Simenon den Schauspieler Rupert Davies vorstellte, soll
dieser gesagt haben: „Das i s t Maigret!“. Mit dem Autor verband den
Darsteller später große Freundschaft, die sich schon bei diesem
ersten Treffen abzeichnete. In Hörzu (17/ 1965) meinte Rupert
Davies, es sei dabei wie bei „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen.
Im Londoner BBC-Studio TC 4 begannen Anfang 1960 in Zusammenarbeit
mit Winwell Productions die Dreharbeiten für die vier Staffeln der
Reihe, die zwischen dem 31.10.1960 und dem 24.12.1963 ausgestrahlt
wurden. Giles Cooper war Dramaturg aller Folgen und auch Autor
vieler Drehbücher. Gedreht wurde im Ampex-Verfahren, das heißt
chronologisch im Studio, wobei Außendrehs auf Film gedreht und ins
Studio eingespielt wurden. Man probte einige Tage die gesamte Folge,
ehe sie dann in einem Stück aufgezeichnet wurde. Rund 20% der
Handlung füllten Außenaufnahmen, für die das Team um Produzent
Andrew Osborn und Hauptdarsteller Rupert Davies extra nach
Frankreich flogen und dafür überwiegend in Paris drehten.
Rupert Davies, der sich Kriminalstücke nach eigenen Angaben nie
ansah und Kriminalromane nur ganz selten las, war gar
nicht überzeugt von sich, als er die Rolle übernahm. Er war doch
Engländer und hatte so gar nichts Französisches an sich, so seine
Meinung. Georges Simenon hingegen sah das – wie oben bereits erwähnt
– anders: in Davies' Darstellung sah er seine Figur leben: die Art,
wie er die Pfeife stopfte, wie er sich in verzwickten Situationen am
Kopf kratzte, für Simeon war Davies genau so, wie er ihn immer
wieder beschrieben hatte. Und nicht nur Simenon, vor allem auch das
Publikum war davon überzeugt, dass Davies der Richtige war.
Waschkörbe an Fanpost erreichten ihn und auf der Straße
verwechselten viele Realität mit Fiktion. So mancher bat ihn um
Mithilfe in einem Kriminalfall, den er à la Maigret ganz
unbürokratisch lösen sollte. (Hörzu 23/1965)
Nachdem der beliebte britische Schauspieler die Rolle vier Jahre
lang gespielt hatte, war Schluss. Davies kümmerte sich wieder mehr
um seine Familie, seine damals 11- und 16-jährigen Söhne und um
Ehefrau Jessica. 1965 berichtete die Hörzu (17/ 1965), dass der
mittlerweile mit dem Titel "Pfeifenraucher des Jahres"
ausgezeichnete Darsteller alles versuchte, um seinen "Doppelgänger"
Maigret wieder loszuwerden. Das war auch der Grund, warum er nach
dem Ende der Serie Rollen übernahm, die gänzlich anders waren, als
jene des Pariser Kommissars. Aber Maigret war stärker und im
gleichen Artikel wird berichtet, dass Davies davon träumte, die
Figur einmal auf der großen Leinwand darzustellen. Auch ein
Maigret-Musical hätte er sich vorstellen können. Über diese Idee
sprach er sogar mit Georges Simenon, der von der Idee begeistert
war. Eine Kinofortsetzung in
österreichisch-italienisch-französischer Koproduktion platzte 1966,
als Regisseur Alfred Weidenmann statt Jürgen Roland am Regiesessel
Platz nahm. Davies wurde dann durch Heinz Rühmann ersetzt.
Immerhin schlüpfte Rupert Davies doch noch einmal an der Seite von
Helen Shingler in seine Paraderolle und zwar für den Langfilm
Maigret at Bay, der von der BBC am 09.02.1969 ausgestrahlt und
bisher nicht auf Deutsch synchronisiert wurde.
In
Großbritannien war Maigret ein phänomenaler Erfolg. Zwar kam
man an die Einschaltquote von rund 90%, die Francis Durbridge mit
seiner 18teiligen Tim Frazer-Serie 1960 (bis dato die längste
BBC-Reihe überhaupt) nicht heran, aber man war mehr als zufrieden.
Immerhin hatte man noch nie so viele Episoden mit solchem positiven
Publikumsecho produziert. Rupert Davies avancierte zum Star und sein
Ebenbild aus Wachs wurde sogar im berühmten Wachsfigurenkabinett der
Madame Tussaud in London ausgestellt.
In der BRD war die Sache etwas anders. Zwar war die Vorfreude auf
Maigret groß und die Zuseherkritiken mitunter auch positiv, aber
die ersten paar Episoden wurden doch eher verhalten aufgenommen. So
standen in der Hörzu (17/ 1965) neben Zuseherkritiken à la „Die
ganze Woche freuen wir uns auf diese Sendung“, „...könnte von mir
aus nie aufhören“ und „Mir gefällt die natürliche Art von Rupert
Davies“ solche wie „Allmählich zum Einschlafen“ und „Der irrt wohl
nie. Allmählich wird die Sendung langweilig“ gegenüber.
In derselben Hörzu-Ausgabe erschien ein wenig freundlicher Artikel
mit der Überschrift Nach 16 Folgen: Migräne bei Maigret – So
geht’s also nicht! und eine Zeile darunter schlug man vor: „Das
Rezept: Erst die Spreu vom Weizen trennen.“ Man mokierte sich
weiters darüber, dass nicht alles, was den Engländern gefalle,
unbedingt den deutschen Geschmack träfe. Zwar hatte Maigret
einmal 50% Einschaltquote gehabt, dies sei jedoch auf das miese
ARD-Programm am entsprechenden Abend zurückzuführen gewesen. Manche
Episoden fuhren jedoch lediglich die damals als verheerend zu
bezeichnenden Einschaltquoten von 23, 18 oder gar nur 12% ein.
Obwohl das ZDF 3,9 Millionen Mark exklusive der teuren
Synchronisation in die 52teilige Serie investiert hatte, forderte
man, nur mehr die besten Folgen zu senden und jene, die qualitativ
als mittelmäßig zu bezeichnen waren, gänzlich auszulassen. Weiter
hieß es, dass Jean Gabin der ideale Maigret sei und wörtlich: „Jeden
Samstag Maigret, Maigret und nochmals Maigret - nein, so geht es
nicht!“.
Jahre später erinnerte sich der für Paul Temple zuständige
ZDF-Redakteur Dr. Joachim Tettenborn - auf die ähnlich gelagerten
Einschaltquotenprobleme der 52teiligen Produktion mit Francis
Durbridges Detektiv angesprochen - im Gong (Mai 1972) dazu wie
folgt: „Die ersten acht Folgen von Maigret kamen auch nicht
an. Als die Zuseher sich aber an das ganz neue Krimi-Gefühl gewöhnt
hatten, wurden sie zu enthusiastischen Fans“.
Es stimmt, denn bald waren ausschließlich positive Kritiken wie die
folgenden zu lesen: „Seit einem Jahr sind Georges Simenons spannende
Psychokrimis kontinuierliche Lichtblicke des Wochenendeprogramms,
die Hauptfiguren Maigret und Lucas gute, verlässliche Bekannte
geworden. [...] Es dürfte schwerfallen, etwas annähernd
Gleichwertiges für die beliebte Serie zu finden. Buch, Regie und
Darstellung verdienen Lob und Preis“. (Hörzu 2/ 1966, S. 44) oder
„Ich arbeite als Landarzt nicht 40, sondern mehr als 80 Stunden in
der Woche, aber wenn ich am Samstag einen Maigret versäume,
weil ich unterwegs bin, tut es mir doch leid, denn ich habe mich die
ganze Woche darauf gefreut.“ (Hörzu 52/ 1965, S. 47)
Schließlich bleibt zu erwähnen, dass ein Mann – oder besser gesagt
seine Stimme – ganz wesentlich zum Erfolg der Reihe auf Deutsch
beigetragen hat: der Schauspieler Hans Wilhelm Hamacher (1920-2000),
der – damals 45 Jahre alt – die Synchronstimme Rupert Davies' war,
den er auch persönlich kennen lernte. Der Autonarr, der für ein
besonderes Gefährt laut Hörzu (34/ 1965) den letzten Pfennig ausgab,
wurde für die Synchronrolle von Kollegen veralbert, weil er seine
größte und längste Rolle im Dunkeln spielte und zwar im
Synchronstudio. Von einem Freund, seines Zeichens Regisseur, wurde
er deshalb gar als „Dunkelkammerschauspieler“ bezeichnet, aber der
schlagfertige Schauspieler konterte: „Die Gage gibt's im Hellen!“
Text: © Dr. Georg Piaigiiitiz
Bibliographie:
Georges Simenon:
Mémoires intimes. Paris : Presses de la Cité, 1981.
sowie folgende Artikel
aus TV-Zeitschriften (mit Dank an Jakob Oberdacher für die
Zusendung) in chronologischer Auflistung:
Migräne
bei Maigret. Hörzu (17/
1965)
Rupert Davies: Jetzt hat ihn
die Familie wieder. Hörzu
(17/ 1965)
Die Spur führt nach St.
Pauli. Hörzu (23/ 1965)
Ich bin kein Star. Hans W.
Hamacher. (Hörzu 34/ 1965)
Kritiken. Hörzu (52/ 1965)
Das Wort hat der Kritiker.
Hörzu (2/ 1966)
Maigret: Ich fühle mich betrogen. Maigret-Darsteller Rupert Davies
verklagt Wiener Filmgesellschaft.
(TV Hören & Sehen
34/1966)
Paul Temple – Der Held ist zu weich. Gong (05/ 1972) |
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