TATORT MÜNCHEN - Veigls Fälle
(1):
Münchner Kindl
(Tatort Nr. 14)
Erstsendung ARD: 09.01.1972
Buch: Michael Kehlmann, Carl Merz
Kamera: Manfred Ensinger
Musik: David Kamien
Regie: Michael Kehlmann
Mit Gustl Bayrhammer, Helmut Fischer, Marianne Nentwich, Louise Martini, Walter
Kohut, Walter Sedlmayr, Willy Harlander, Franziska Stömmer, Hans Stadtmüller,
Rosl Mayr, Walter Schmidinger, Hans Reiser, Willy Schultes u. v. a.
Martha, eine psychisch kranke Frau, entweicht aus einer Heilanstalt. Sie wurde
eingewiesen, weil sie ein Kind entführt und getötet haben soll. Nun ist sie in
Freiheit und entführt auf einem Spielplatz ein Mädchen namens Ulli. Unterschlupf
findet sie bei einer Bekannten, die als Prostituierte arbeitet. Deren Freund,
ein Wiener Zuhälter, versucht aus der Sache Kapital zu schlagen. Einstweilen
ermittelt die Münchner Kriminalpolizei in Form von Oberinspektor Veigl ...
Dass Münchner Kindl ähnlich wie der erste Tatort mit Klaus Höhne Stuttgarter
Blüten nicht für diese Reihe konzipiert war, sondern vom zuständigen Redakteur
Peter Hoheisel in Ermangelung eines neuen Kommissars einfach in die Reihe
gehievt wurde, ist in dieser Folge besonders gut erkenntlich: so ist der
Ermittler nur eine Nebenfigur und - das dürfte in der Serie einmalig sein - löst
er den Fall überhaupt nicht. Vielmehr ist er gut eine Viertelstunde vor dem Ende
des Films das letzte Mal zu sehen, die Entführerin bringt das Kind dann selbst
zurück und verschwindet im Wald an der Grenze zu Österreich. Schließlich könnte
man sämtliche - ohnehin spärlichen - Veigl-Auftritte aus dem Film gänzlich
streichen, es würde nichts (!!!) an der Handlung ändern! Das ist für einen
Krimi, bei dem eigentlich der regionale Ermittler im Mittelpunkt stehen sollte,
schon eher bedenklich. Apropos Regionales: sieht man diesen Film, so hat man
eher den Eindruck in einer österreichischen Produktion zu sein, denn sämtliche
Hauptfiguren werden von österreichschen Darstellern (Marianne Nentwich, Walter
Kohut, Louise Martini (+Walter Schmidinger in einer Nebenrolle)) dargestellt,
der Regisseur und der Autor sind ebenfalls Wiener und der Dialekt der
Bundeshauptstadt ist im Prozentanteil sicherlich 75% präsent, dem gegenüber
stehen etwa 15% Bairisch und der Rest Hochdeutsch. Überhaupt ist der ganze Film
kein wirklicher Krimi, vielmehr eine Art Komödie mit kriminalistischen Anleihen.
Bayern wird durch kurze - aber humorvolle - Auftritte beinahe sämtlicher
Volksschauspieler repräsentiert: neben Helmut Fischer und Willy Harlander als
Kriminalassistenten sind da etwa mit dabei: Walter Sedlmayr als
Brauereibesitzer, der immer donnerstags eine Prostituierte aufsucht und seine
Impotenz auf das heiße Wetter zurückführt, Rosl Mayr als Ladenbesitzerin, Hans
Stadtmüller als betrunkener Kneipengast, Franziska Stömmer als Wirtin, Maria
Stadler, Willy Schultes und und und.
Dass der Film in die Reihe gehievt wurde, dürfte wohl mit der originellen
Darstellung des Oberinspektors Veigl zu tun gehabt haben, aus der man später
noch etwas machen wollte: der griesgrämige Urbayer, der seinen Dackel Oswald in
der Aktentasche mit ins Büro nimmt und dem er Bier statt Wasser (das er
angeblich nicht kennt, nur im Tee mit Rum!) gibt, weiß zu unterhalten. Das
Gespann Veigl & Oswald ist sicherlich eine besonders einfallsreiche Variante,
einen Kommissar darzustellen.
Der Film von Michael Kehlmann, der (in der Tatort-Geschichte einmalig?) mit
versetztem Vorspann beginnt, wirkt heute als Krimi angestaubt, als Sammelsurium
an originellen und witzigen Sprüchen und skurrilen Figuren jedoch unterhaltsam.
Als Tatort ist Münchner Kindl jedoch völlig unbrauchbar, zumal ihm das
Lokalkolorit beinahe gänzlich fehlt, der Film zu 90% aus Studioszenen besteht
und das Münchnerische nur am Rande vorkommt.
Der aktuelle Münchner Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl meinte über die Folgen aus
den 1970er-Jahren, dass diese nur "unter musealem Aspekt" zu genießen seien. Das
stimmt nur bedingt, trifft aber auf diesen ersten Veigl-Fall sehr gut zu. Es ist
sicherlich auch kein Wunder, dass man 16 Folgen lang warten musste, ehe mit
Folge 30 Weißblaue Turnschuhe der erste richtige Fall des Münchner
Oberinspektors auf Sendung ging! |