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	Dr. Georg P. 
	
	Überlegungen zur Definition des Genres ‚Giallo‘  
 
		
		1. Deutsch Giallo ≠ italienisch giallo 
		
		
		Immer wieder ergeben sich heftige Diskussionen, wenn es darum geht, zu 
		definieren, welche Filme dem italienischen Giallo zuzuordnen sind. 
		Hierbei gibt es zunächst ein grundlegendes Problem, das für die 
		Definition entscheidend ist: im Italienischen versteht man unter dem 
		Begriff ,Giallo‘ nicht das gleiche wie im deutschen Sprachraum. 
		
		
		Bekanntermaßen geht die Bezeichnung auf die geniale Idee des Mailänder 
		Arnoldo-Mondadori-Verlags zurück, die Ende der 1920er-Jahre erstmals 
		erschienenen Kriminalromane im gelben Umschlag zu präsentieren (ital. 
		giallo ,gelb‘). Schnell wurde dadurch in der Umgangssprache der 
		Begriff ,Giallo‘ anstelle des doch etwas komplexen romanzo 
		poliziesco (Kriminalroman) beliebt, so das man alsbald nicht nur die 
		klassischen Kriminalromane von Arthur Conan Doyle und Edgar Wallace als 
		,Gelbe‘ bezeichnete, sondern auch die ersten im Kino laufenden 
		Kriminalfilme. Seitdem versteht man im Italienischen alles, was mit 
		Kriminalromanen, -filmen und -serien zu tun hat, als Giallo. Eine 
		Einschränkung auf das spezielle Genre, das mit beeinflusst durch die 
		deutsche Edgar-Wallace-Reihe Anfang/Mitte der 1960er-Jahre ihre 
		Geburtsstunde hatte, mit Dario Argentos L’uccello dalle piume di 
		cristallo 1969 den ersten Höhepunkt erlebte und bei uns als ,Giallo‘ 
		bezeichnet wird, gibt es nicht. Spricht man darüber mit einem Italiener, 
		so muss man dieses spezielle Genre schon mit giallo tipo Argento 
		einschränken, damit er weiß, wovon die Rede ist. Denn neben den 
		Klassikern von Wallace, Christie, Doyle – die bis heute im gelben 
		Einband  erscheinen (der Goldmann-Verlag versuchte Ähnliches mit seiner 
		Reihe „Rote Krimi“) – sind auch Filme von Hitchcock, deutsche Serien wie
		Derrick (L’ispettore Derrick) oder Ein Fall für zwei (Un 
		caso per due) für einen Italiener ,Gialli‘ (so übrigens der korrekte 
		Plural). Schließlich ermittelt im italienischen Fernsehen Angela 
		Lansburry sogar als Signora in giallo (,Frau in Gelb‘, dt. Titel:
		Mord ist ihr Hobby). Kurioserweise hat sich in Italien übrigens 
		auch der Begriff krimi eingebürgert und zwar parallel zur 
		Verwendung des Begriffs ,Giallo‘ im Deutschen: während der Giallo 
		hierzulande (fast) alles Kriminalistische aus einer gewissen Epoche ist, 
		was aus Italien kommt, bezeichnet man in Fachkreisen mit ital. krimi 
		alles, was dieses Genre betrifft und aus Deutschland kommt. Dies geht 
		von den Edgar-Wallace-Filmen bis hin zu den bei den Italienern so 
		beliebten Fernsehermittlern Derrick und Der Alte (L’ispettore 
		Derrick, Il commissario Köster, Il commissario Kress). 
		
		
		Oft wird nun diskutiert, ob jeder italienische Krimi ein ,Giallo‘ sei. 
		Zieht man die oben angeführten Ausführungen in Betracht, so ist die 
		Antwort einfach: für einen Italiener ist jeder Krimi ein Giallo (wobei 
		es dann natürlich Unterkategorien gibt, wie den Polizeifilm (poliziesco)). 
		Zieht man den Begriff ‚Giallo‘ in seiner deutschen Verwendung als 
		Genrebezeichnung heran, so ist die automatische Zuordnung jeder 
		italienischen Produktion zu diesem Genre nicht mehr möglich. Deshalb 
		können/ müssen beispielsweise auch – je nach Betrachtungsweise – Filme 
		wie A doppia faccia/ Das Gesicht im Dunkeln mal als Giallo, mal 
		als Thriller betrachtet werden. 
		
		
		  
		
		
		2. Giallo Stunde Null 
		
		
		Die Geburtsstunde jenes Genres, das wir im deutschen Sprachraum als ,Giallo‘ 
		bezeichnen, hat zweifelsohne mit Mario Bavas in schwarz/weiß gehaltenem 
		Kriminalfilm La ragazza che sapeva troppo (wörtlich: Das 
		Mädchen, das zuviel wusste, 1963) geschlagen. Zwar sind hier noch 
		nicht alle genretypischen Faktoren vorhanden, der Regisseur, hat jedoch 
		schon einige der typischen Merkmale des italienischen Kriminalfilms 
		versammelt: ein Mädchen in Angst, einen unheimlichen Serienkiller (der 
		hier allerdings nur in Erzählungen auftaucht) und sogar ein 
		Locked-Room-Mystery. Bava selbst war auch für die Licht- und 
		Bildgestaltung verantwortlich und stiehlt damit so manchem 
		Edgar-Wallace-Film, der zweifellos Vorbild stand, die Show. Nicht 
		umsonst wird der britische Schriftsteller in einer Szene sogar 
		namentlich erwähnt. In Sei donne per l’assassino (wörtlich: 
		Sechs Frauen für den Mörder, dt. Kinotitel: Blutige Seide) 
		verwendet Bava schließlich schon die entscheidenden Giallo-Zutaten, auf 
		die wir gleich weiter eingehen werden. Bis 1969 gibt es dann einige 
		Produktionen, die daran mehr oder weniger erfolgreich anschließen, so 
		zum Beispiel Nude si muore (wörtlich: Nackt stirbt man, 
		dt. Titel: Sieben Jungfrauen für den Teufel, 1968). Der 
		entscheidende Film kam aber 1969 mit Dario Argentos L’uccello dalle 
		piume di cristallo (wörtlich: Der Vogel mit den Federn aus 
		Kristall, dt. Titel: Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe).
		
		
		Damit hatte der Regisseur einen Meilenstein geschaffen und die typischen 
		Genremerkmale ein für allemal definiert.  
		
		
		  
		
		
		3. Genrespezifische Eigenschaften 
		
		
		Die folgenden typischen Zutaten aus dem Erstlingswerk Dario Argentos 
		wurden später oft kopiert, leicht variiert und vor allem in Bezug auf 
		Darstellung von Gewalt und grausamen Morden ausgebaut: 
	
		- 
		
		
		(a) Der Killer ist 
		schwarz angezogen (meist mit Regenmantel)   
		- 
		
		
		(b)
		Er trägt (schwarze) 
		Handschuhe und Hut  
		- 
		
		
		(c) Die Morde geschehen 
		(meist) aus der Sicht des Täters   
		- 
		
		
		(d) Besonders ausgefeilte 
		Mordszenen und Tatwerkzeuge   
		- 
		
		
		(e) Besonders brutale 
		Mordmethoden (in L’uccello dalle piume di cristallo noch nicht so 
		stark)  
		- 
		
		
		(f) ein kongenial 
		gruseliger, ins Ohr gehender Soundtrack (meist von Ennio Morricone, 
		später sind auch Komponisten wie Riz Ortolani oder Stelvio Cipriani 
		federführend).  
		- 
		
		
		(g) etwas Nacktheit, 
		junge „hilflose“ und dem Täter ausgelieferte Frauen 
		 
		- 
		
		
		(h) der Mörder ist meist 
		ein Psychopath  
		- 
		
		
		(i) der Ermittler ist 
		nicht die Hauptfigur, sondern eine andere, meist unschuldig ins 
		Geschehen verwickelte Figur   
		- 
		
		
		(j) Spannung geht vor 
		Logik  
		- 
		
		
		(k) der Täter wird erst 
		am Ende entlarvt und ist dem Zuseher nicht bekannt (Whodunit) 
		 
		- 
		
		
		(l) ein 
		außergewöhnlicher, reißerischer Titel  
	 
	
		
		Besonders was den Titel betrifft, versuchen fast alle nachfolgenden 
		Filme dabei an diesen grundlegenden Film anzuknüpfen. Ein Tier im Titel 
		sollte sofort eine Referenz auf Spannung und Grusel à la Dario Argento 
		sein. Der Großteil der Produktionen verwendet dabei das unten angeführte 
		Muster (1) ,Tier + Eigenschaft‘, das dem Publikum sofort suggeriert, 
		dass es sich um einen Giallo handelt. 
		
		
		Sieht man sich die Titel der Filme an, so ist eine Unterteilung in 
		folgende Kategorien möglich, wobei Muster (1) und (2) am häufigsten 
		vorkommen: 
		
		
		1.     
		
		
		Tiername + Spezifizierung nach dem Muster ,Der/ die/ das X mit Y‘
		 
		- L’uccello dalle piume di cristallo, wörtlich Der Vogel mit 
		den Federn aus Kristall 
		- Il gatto a nove code, wörtlich Die Katze mit neun Schwänzen
		 
		
		
		- Quattro mosche di velluto grigio, wörtlich Vier Fliegen aus 
		grauem Samt  
		
		
		- Una lacertola con la pelle di donna, wörtlich Eine Eidechse 
		mit Frauenhaut 
		
		
		- Una farfalla dalle ali insanguinate, wörtlich Ein 
		Schmetterling mit blutigen Flügeln 
		
		
		- Il gatto dagli occhi di giada, wörtlich Die Katze mit den 
		Jadeaugen  
		
		
		- La tarantola dal ventre nero, wörtlich Die Tarantel mit dem 
		schwarzen Bauch  
		
		
		  
		
		
		2.     
		
		
		Tiername in anderer Form im Titel 
		
		 
		- La morte negli occhi del gatto, wörtlich Der Tod in den 
		Augen der Katze  
		
		
		- La coda dello scorpione, wörtlich Der Schwanz des Skorpions 
		
		
		- Gatti rossi in un labirinto di vetro, wörtlich Rote Katzen 
		in einem Labyrinth aus Glas  
		
		
		- Non si sevizia un paperino, 
		wörtlich Man quält keine Gänslein  
		
		
		  
		
		
		3.     
		
		
		eine Person im Titel 
		
		
		- L’etrusco uccide ancora, wörtlich Der Etrusker tötet wieder 
		
		
		- La corta notte delle bambole di vetro, wörtlich Die kurze 
		Nacht der Glaspuppen  
		
		
		- Lo strano vizio della signora Wardh, wörtlich Das seltsame 
		Laster der Frau Wardh  
		
		
		- Perché quelle strane gocce di sangue sul corpo di Jennifer?, 
		wörtlich Warum diese seltsamen Bluttropfen auf dem Körper von 
		Jennifer? 
		
		
		- Cosa avete fatto a Solange?, wörtlich Was habt ihr mit 
		Solange gemacht?  
		
		
		- La dama rossa uccide sempre sette volte, wörtlich Die rote 
		Dame tötet immer sieben Mal 
		
		
		  
		
		
		4.     
		
		
		eine Pflanze im Titel (funktioniert meist auch nach dem Muster ,X + 
		Spezifizierung‘) 
		
		
		- Sette orchidee macchiate di rosso, wörtlich Sieben 
		rotgefleckte Orchideen  
		
		
		- Il fiore dai petali d’acciaio, wörtlich Die Blume mit den 
		Blüten aus Stahl 
		
		
		  
		
		
		5.     
		
		
		ein Gebäude im Titel (nach dem Muster der 1. Kategorie: ,X + 
		Spezifizierung‘) 
		
		
		- La casa dalle finestre che ridono, wörtlich Das Haus mit den 
		Fenstern, die lachen  
		
		
		- La casa con la scala nel buio, wörtlich Das Haus mit der 
		Treppe ins Dunkel  
		 
  
		
		
		6.     
		
		
		eine Zahl im Titel (hier sind einige Titel aus den Kategorien 1-5 
		nochmals zu nennen) 
		
		
		- Il gatto a nove code, wörtlich Die Katze mit neun Schwänzen
		 
		
		
		- Sette orchidee macchiate di rosso, wörtlich Sieben 
		rotgefleckte Orchideen  
		
		
		- La dama rossa uccide sempre sette volte, wörtlich Die rote 
		Dame tötet immer sieben Mal 
		- Sette note in nero, wörtlich: Sieben Noten in Schwarz 
		
		
		- L’assassino ha riservato nove poltrone, 
		
		wörtlich: Der Mörder hat neun Sessel reserviert 
		
		
		Die meisten Filme des Giallo-Genres erfüllen die obengenannten Kriterien 
		(a) bis (l) fast ausnahmslos und kopieren damit in leicht variierter 
		Form das von Dario Argento und Mario Bava vorgegebene Muster, wobei 
		einzelne Faktoren mal stärker, mal schwächer ausgeprägt auftreten 
		können. Dabei ist natürlich nicht jedes Kriterium gleich stark zu werten 
		(wie etwa der Titel). Ausschlaggebend für die Einreihung in das 
		Giallo-Genre scheint jedoch die Erfüllung der Kriterien (a), (b), (d), 
		(i) und vor allem (k) (Whodunit) zu sein, wobei (f) (die Musik) auch 
		einen wichtigen Beitrag leistet, aber natürlich nicht Genre definierend 
		sein kann. 
		
		
		  
		
		
		4. Überschneidungen mit anderen Genres 
		
		
		Nun gibt es schließlich wie bei jedem anderen Genre auch solche 
		Produktionen, die mit anderen Filmgattungen liebäugeln oder sich mit 
		ihnen überschneiden, was dazu führt, dass sie als grenzwertig 
		einzustufen sind. Im Bereich des Giallo gibt es hier einige Filme, die 
		sich mit Mystery und Übersinnlichem überschneiden, wie etwa 
		L’assassino ha riservato nove poltrone (wörtlich: Der Mörder hat 
		sieben Stühle reserviert, 1974), La casa dalle finestre che 
		ridono (1976, dt. Titel: Das Haus der lachenden Fenster) oder 
		auch teilweise La corta notte delle bambole di vetro (wörtlich:
		Die kurze Nacht der Puppen aus Glas, 1971, dt. Titel: Das 
		Todessyndrom) und Sette note in nero (wörtlich: Sieben 
		Noten in Schwarz, 1977). Während vor allem L’assassino ha 
		riservato nove poltrone alle oben genannten Kriterien des Giallo 
		erfüllt und erst in seiner Auflösung ein genreunspezifisches Ende 
		bietet, weisen andere Produktionen wie La corta notte delle bambole 
		di vetro oder La casa dalle finestre che ridono darüber 
		hinaus einige entscheidende Faktoren wie den maskierten Killer nicht 
		auf. Die Kreuzung des Giallo mit der Komödie funktioniert nur bedingt, 
		Filme wie die Groteske Tutti defunti … tranne i morti (wörtlich:
		Alle verstorben … außer den Toten, 1977) wirken daher bizarr und 
		nehmen nur teilweise Anleihen an den Genrezutaten, um diese immens zu 
		übertreiben oder nur allzu geringfügig anzuwenden. Entscheidend für die 
		Zuordnung grenzwertiger Filme zum Giallogenre scheint schließlich wohl 
		die Intensität und Stärke der genannten Kategorien (a) bis (l) zu sein. 
		Beginnt man sich als Zuseher zu fragen, ob die vorliegende Produktion 
		überhaupt dieser Gattung angehört, so sind die wichtigsten Faktoren wohl 
		zu wenig ausgeprägt. 
		                                                                                     
		 
		
		
		5. Unabdingbare Merkmale   
		
		Es sind schließlich 
		doch wohl die ausgefeilten und teilweise brutalen Morde, die visuelle 
		Wirkung, die großteils geisteskranken Täter und die Darstellung ihrer 
		Psyche (vor allem in der späteren Phase), die Musikuntermalung und die 
		Beteiligung des Zuschauers am Mord aus der Sicht des Täters sowie die 
		Zentrierung auf einen Protagonisten, der nicht der Ermittler ist, 
		sondern manchmal selbst Hauptverdächtiger der Polizei, die 
		ausschlaggebend für eine grundlegende Definition des Genres ‚Giallo‘ 
		sind. Alleine das Spezifikum „italienischer Kriminalfilm“ reicht dazu 
		nicht aus.
		 
		
		
		Text: 
		©
		Dr. Georg P.
(Die Krimihomepage, Juni 2013)  | 
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