Die Krimihomepage | Überlegungen zu den Termini 'Epigone' und 'stilverwandt' in Bezug auf die deutsche Edgar-Wallace-Serie

Kriminalistisches

Deutschsprachige Krimiserien

Fernsehkriminalspiele 1952-1989

Francis Durbridge Homepage

Nichtkriminalistisches

TV Serien anderer Genres

Fernsehspiele anderer Genres

Sonstiges

Aufsätze & Co.

Kontakt

 

Dr. Georg P.
Überlegungen zu den Termini 'Epigone' und 'stilverwandt' in Bezug auf die deutsche Edgar-Wallace-Serie

 

Dr. Georg P.
Überlegungen zu den Termini 'Epigone' und 'stilverwandt' in Bezug auf die deutsche Edgar-Wallace-Serie


Wenn man von Epigonen spricht, so sollte zunächst die Etymologie des Wortes geklärt werden: das deutsche Wort ,Epigone‘ ist eine Nominalkomposition, die sich aus dem altgriechischen Adverb έπί̆ ,danach‘ und dem Nomen γονή ,Geburt‘, ,Nachkommenschaft‘, ,Kinder‘ zusammensetzt. Es bezeichnet also etwas, das nach der "Geburt" einer Sache oder Person entsteht. Im Duden-Fremdwörterbuch (61999, p. 231:1) wird der Begriff wie folgt definiert: „jmd., der in seinen Werken schon vorhandene Vorbilder verwendet od. im Stil nachahmt, ohne selbst schöpferisch, stilbildend zu sein“.

Sind diese Vorbilder die Filme der Edgar-Wallace-Serie, so ist zunächst zu klären, welche Stilmittel diese Reihe unverwechselbar und stilbildend macht. Die Definition eines typischen Edgar-Wallace-Films ist dabei gar nicht so leicht, da die deutsche Kinoserie zwischen ihrem Start 1959 und ihrem Ende 1971 teilweise starken Veränderungen unterworfen war. Da die meisten Konkurrenzproduktionen jedoch Anfang bis Mitte der 1960er-Jahre entstanden sind, sind für eine Definition die entsprechenden Produktionen aus dem Hause Rialto Film (bzw. CCC-Film bzw. Kurt-Ulrich-Film) heranzuziehen (entscheidend ist hier der Produktionszeitraum und die Vorlage Edgar Wallace und nicht die Produktionsfirma!). Dabei ist allerdings in Erinnerung zu rufen, dass auch diese Produktionen ab einer gewissen Phase nur mehr die typischen Stilelemente der ersten Filme kopieren und daher eher als Rialto-Krimi-typisch gesehen werden müssten zumal diese Filme mit den Originalromanen des britischen Schriftstellers oft nur mehr sehr wenig zu tun hatten und etwa der filmübliche Wechsel zwischen Grusel und Komik in den Werken Edgar Wallace‘ völlig fehlt.

Spricht man andere auf die Edgar-Wallace-Filme an, so sind die ersten Assoziationen meist Gruselspannung, abgelegene Schlösser, peitschender Regen, neblige Londonansichten, etwas Komik und eine skurrile Verkleidung des Täters. Des Weiteren bringt man häufig verschiedene Regisseure (Alfred Vohrer, Harald Reinl, Franz-Josef Gottlieb), Musikkomponisten (z. B. Peter Thomas, Martin Böttcher) und vor allem DarstellerInnen damit in Verbindung (etwa Joachim Fuchsberger, Heinz Drache, Eddi Arent, Klaus Kinski, Siegfried Schürenberg, Elisabeth Flickenschildt …).

In vielen Listen werden nun häufig Filme als Epigonen bezeichnet, die folgende Kriterien erfüllen:

  • Deutsche (Co-)Produktionen

  • Produktionen mit Wallace-Darstellern

  • Produktionen von Wallace-Regisseure

  • Whodunit-Dramaturgie

  • Verkleideter Mörder

  • Schwarz-Weiß-Filme

Diese Kategorisierung führt beispielsweise dazu, dass der Film Das Geheimnis der jungen Witwe beispielsweise bei Kramp (³2005, p. 478)  als Epigone gelistet wird. Es handelt sich bei dieser deutsch-italienischen Koproduktion um einen Psychothriller aus der Hand von Regisseur Massimo Dallamano, der später den vorletzten Rialto-Beitrag Das Geheimnis der grünen Stecknadel/ Cosa avete fatto a Solange? (1971) inszenierte. Außer dem Regisseur hat der Film aber überhaupt keinen Bezug zur Wallace-Serie. Entscheidend ist hier, mitzubedenken, ob etwas bewusst als Epigone produziert wurde und durch Titel, Handlung und womöglich auch Darsteller an die Wallace-Reihe anschließen wollte, oder ob - und das ist ein bisher völlig unberücksichtigter Faktor - die durch die Filme in der BRD ausgelöste Krimihysterie von Produzenten ausgenutzt wurde, um "andere" Krimis zu produzieren und diese dem Publikum in der Hoffnung zu servieren, dass diese den Krimihorizont auf eine andere Machart erweitern. Hier können zusätzlich die Filmtitel, wie etwa Das Geheimnis der jungen Witwe, durchaus Assoziationen zur Wallace-Serie hervorrufen und damit die Zuseher neugierig machen. In die Kategorie "Nicht-stilverwandt", "Nicht-Epigone" fallen etwa m. E. auch die Jerry-Cotton-Filme und Produktionen wie Ich spreng euch alle in die Luft (1967) (im Standwerk Kramps (³2005, p. 478) ebenso als Epigone angeführt), die dem Wallace-Krimi verwöhnten Publikum neue Perspektiven im Kriminalfilm eröffnen wollten, sich aber weder stilistisch noch dramaturgisch an den Filmen orientieren.

            Schließlich ist es ein weiterer wesentlicher und notwendiger Punkt, die beiden Termini "stilverwandt" und "Epigone" voneinander zu differenzieren. Während der Begriff 'Epigone' in der Einleitung bereits definiert wurde und sich ein Film dieser Art bereits an etwas Existentem orientiert (in diesem Falle den Edgar-Wallace-Filmen) und meist auch zeitnah zum Original produziert wurde, kann ein stilverwandter Film auch ohne offensichtlichen Bezug entstanden sein - und das etwa auch vor der eigentlichen Serie. So könnten manche britisch-amerikanische Spielfilme aus den 1940ern und 1950ern durchaus als stilverwandt zu den Wallace-Filmen betrachtet werden und auch einige Kriminalfilme, die vor 1959 in Deutschland entstanden sind, beispielsweise Das Mädchen mit den Katzenaugen (1958) oder Grabenplatz 17 (1958). Hier wäre überhaupt auch zu hinterfragen, in wie weit die deutschen Kriminalfilme der 1950er Jahre die Edgar-Wallace-Serie beeinflusst haben, ein nicht unbedeutender Faktor, der bisher leider völlig unberücksichtigt geblieben ist. Als nicht unwesentlich ist hier auch unbedingt Dietrich Haugks 1960 entstandener Kinofilm Agatha lass das Morden sein zu betrachten, der zwar von der Handlung und Qualität völlig indiskutabel ist, aber in punkto gruseliger Atmosphäre und Figurenkonstelation den Edgar-Wallace-Filmen sehr viel vorweg nimmt und quasi die Quintessenz dieser Produktionen beinhaltet.

            Die Definition einer Epigone hängt nun hauptsächlich davon ab, was man als Original bezeichnet. Hier beginnt im Bezug auf die Edgar-Wallace-Filme bereits das Problem, denn ein Großteil der Fans sieht als "original" - völlig unverständlicher und m. E. auch unkorrekter Weise - nur jene Produktionen an, die ab 1959 von Rialto Film produziert wurden. Dies geht so weit, dass andere Filme, die sogar im selben Zeitraum produziert wurden, kurioser Weise als Epigonen betrachtet werden, was ob der Nennung des Autors im Vorspann von Non-Rialto-Filmen wie Der Rächer, Der Fluch der gelben Schlange, Todestrommeln am großen Fluss oder Sanders und das Schiff des Todes besonders kurios anmutet. Während die ersten beiden Filme sich in ihrer Dramaturgie und Besetzung kaum von den Rialto-Filmen unterscheiden (und vor allem Der Rächer nachfolgenden Produktionen in punkto Atmosphäre und Besetzung eine wesentliche Vorlage liefert), mag die Ausgrenzung der beiden Afrika-Filme für andere (für mich nicht!) noch irgendwo verständlich sein, wenn man sich - und das ist wesentlich - unter einem Edgar-Wallace-Film eine Produktion vorstellt, die

  • im Bezug auf den Ort in England spielt,

  • Handlungsorte wie düstere Schlösser, unterirdische Gänge, düstere Hafengegenden oder Moorlandschaften aufweist,

  • dazu über peitschenden Regen und neblige Atmosphäre verfügt,

  • in der Figurenkonstellation eine klare Trennung zwischen Gut und Böse hat,

  • über eine verbrecherische Organisation oder/ und eine reiche Erbin in Gefahr erzählt,

  • einen großen Unbekannten aufweist,

  • einen Täter besitzt, der sich entweder durch eine skurrile Verkleidung oder eine besonderes "Logo" auszeichnet,

  • über humoristische Szenen verfügt, die die unheimlichen und spannenden Szenen unterbrechen/ aufheitern sollen,

  • darüber hinaus in der Dramaturgie ganz klare Linien verfolgt (Mord am Anfang, Demaskierung des Täters erst am Ende, Rettung der Frau in Gefahr etc.)

  • nicht zuletzt über eine ganz bestimmte Besetzung und Rollenverteilung verfügt und

  • auch im übrigen Cast (im Bezug auf Drehbuch, Musik, Kamera, Regie etc.) immer die selben Leute versammelt.

Liest man diese - sicherlich erweiterbaren Kriterien - dann wird klar, dass sich die Edgar-Wallace-Reihe ab einem gewissen Zeitpunkt (etwa ab 1963/64 bis 1968) nur mehr selbst kopiert und die verschiedenen Zutaten immer wieder zu neuen "Krimicocktails" zusammen mischt. Klar ist außerdem, dass damit auch die üblichen offensichtlichen Epigonen wie Artur Brauners Bryan-Edgar-Wallace-Serie (mit Ausnahme der Filme ab 1969) oder die Louis-Weinert-Wilton-Filme und einzelne Produktionen wie Das Wirtshaus von Dartmoor (1964) oder Hotel der toten Gäste (1965) eindeutig als Epigonen per definitionem zu sehen sind, wobei der Grad der Epigone noch variierbar ist, denn nicht alle genannten Punkte sind gleich relevant. Dies ist so beim Ort der Handlung. Ist ein Film, der die obigen Kriterien erfüllt, aber nicht in England, sondern in Italien oder gar in Thailand spielt, dann etwa keine Epigone? Wohl kaum. Völlig unverständlich ist deshalb, warum Abenteuerkrimis à la Das Todesauge von Ceylon (1963), Der schwarze Panther von Ratana (1963) oder Der Fluch des schwarzen Rubin [sic!] (1965) des Münchner Produzenten Wolfgang C. Hartwig in den meisten Epigonenlisten völlig außer Acht gelassen wurden (so etwa bei Kramp (³2005), Hohmann (2011); Tses (2002) geht auf gar keine Epigonen ein). Hartwig tauschte einfach Themsenebel gegen Exotik, Schlösser gegen Tempel und fertig waren Filme, die großteils in ihrer Machart an die Wallace-Streifen erinnern. Sogar die Komik kam nicht zu kurz. Während Eddi Arent im Original die Zuschauer bei Laune hielt, taten das Bill Ramsey oder Chris Howland bei Rapid Film. Der Bösewicht vom Dienst wurde hier nicht von Klaus Kinski, sondern fast ausschließlich von Horst Frank verkörpert (der sich zum Leidwesen seiner Fans leider selten selbst synchronisierte). Damit die Filme (meist deutsch-italienisch(-französisch)e Koproduktionen) im Ausland ein Erfolg wurden, war der Ermittler meist ein Geheimagent. So konnten die koproduzierenden Italiener oder Franzosen den Film als Eurospy vermarkten (und der Agentenname schlug sich hier auch meist im italienischen Titel nieder). Richtiger Eurospy waren die Filme jedoch nicht. Im Unterschied zur Kommissar-X-Reihe Theo Maria Werners waren sie vielmehr Krimis, die als Pseudoagentenabenteuer verkauft wurden. Neben einer Whodunit-Dramaturgie, die in fast allen dieser Exotikkrimis vorherrscht und den genannten primären Faktoren, sprechen noch weitere sekundäre Argumente für eine Einreihung in die Epigonenliste: Regisseure wie Jürgen Roland oder Helmuth Ashley saßen auf dem Regiestuhl, Martin Böttcher und Willy Mattes waren mitunter für die Musik verantwortlich, Autoren wie J. Joachim Bartsch oder Hanns Wiedmann schrieben die Bücher und in den Hauptrollen agierten Schauspieler, die allesamt in Wallace-Filmen mit dabei waren, unter anderem: Heinz Drache (Der schwarze Panther von Ratana (1963), Ein Sarg aus Hongkong (1964)), Hans Nielsen (Das Todesauge von Ceylon (1963)), Marianne Koch und Klausjürgen Wussow (Heißer Hafen Hongkong (1962)), Joachim Fuchsberger (Das Mädchen von Hongkong (1972)) oder Harald Leipnitz (5 vor 12 in Caracas (1966)). Daneben spielten wie bereits erwähnt Horst Frank, Bill Ramsey und Chris Howland sowie Reinhard Glemnitz, Paul Hubschmid und Marianne Hold (Die Diamantenhölle am Mekong (1964)), Paul Klinger und Harald Juhnke (Das Geheimnis der drei Dschunken (1965)), (Die Diamantenhölle am Mekong (1964)), Maria Perschy und Dietmar Schönherr (Weiße Fracht für Hongkong (1964)) oder Peter Carsten (Der Fluch des schwarzen Rubin (1965)) mit. Einige Filme kopieren die Wallace-Reihe sogar so stark, dass sich der direkte Vergleich aufzwingt: so etwa das Zeichen des Killers in Das Todesauge von Ceylon, das unweigerlich an das „Logo“ des Mörders in Der rote Kreis erinnert. Auch Filme anderer Produzenten wären hier unbedingt zu berücksichtigen, wie etwa Harry Alan Towers' Produktion Das Haus der 1000 Freuden (1967), die trotz des absolut trashigen und irreführenden Titels ein handfester, stilverwandter, ja epigonaler Kriminalfilm ist.

Anhand zweier Filme, die immer wieder als Epigonen gelistet werden, soll nun geklärt werden, ob dies überhaupt gerechtfertigt ist. Es handelt sich dabei um Produktionen, die sich auf andere renommierte britische Kriminalschriftsteller berufen, die es eigentlich nicht nötig hätten, als Wallace-Epigone verkauft zu werden, zumal sie ganz deutliche, eigenständige Stilmerkmale aufweisen, die jedoch vor allem in der ersten besprochenen österreichischen Produktion zugunsten der Wallace-Zutaten völlig außer Acht gelassen wurden.

Kein anderer britischer Autor erregte neben Edgar Wallace in den 1950ern und 1960ern soviel Aufsehen wie Francis Durbridge, dessen mehrteilige Fernsehspiele für enorme Einschaltquoten sorgten. Mangels eigener Ideen und neuen kreativen Schaffens wurde der Name des „Original-Straßenfegers“ zweimal für einen Kinofilm missbraucht. Einmal 1963 für Piccadilly 0 Uhr 12 (Regie: Rudolf Zehetgruber) und 1964 für den österreichischen Krimi Tim Frazer jagt den geheimnisvollen Mister X (Regie: Ernst Hofbauer). Während Durbridge im Vorspann des Zehetgruber-Films noch aufgeführt wird, seine eigenen Ideen aber weitgehend aus der Handlung eliminiert worden sein dürften (sofern sie überhaupt vorhanden waren), evoziert im zweiten Film nur mehr die Titelfigur den bekannten Krimihelden des Autors. Typisch für den „meister der feindosierten Spannung“ waren eben nicht Gangstergeschichten, maskierte Killer, neblige Hafenanlagen und dubiose Kneipen oder gar die Darstellung von Morden. Wer Durbridge kennt, der weiß, dass Grusel für ihn ein Fremdwort ist, Morde nur in Abwesenheit des Zuschauers geschehen und die Darstellung von Gewalt überhaupt nicht zu ihm passt. In einem Interview hatte der Meister selbst mal gesagt: „Ich bin so undramatisch, ich kann kein Blut sehen“. Während die Produktion Piccadilly 0 Uhr 12 zwar mit einer unglaublich starken Besetzung punkten kann, erinnert außer dem Schauplatz London und Klaus Kinski nicht wirklich viel an Francis Durbridge. Selbst der „geniale“ dramaturgische Gedanke, Ilja Richter als Edgar Wallace (sprich: [Wεlles] [sic!]) auftreten zu lassen, reicht nicht aus, um den Film der Serie des britischen Kultautors zuzurechnen. Ganz anders Tim Frazer jagt den geheimnisvollen Mister X. Hier scheint jede Szene, jede Einstellung, jeder Dialogteil und die gesamte dramaturgische Ausrichtung einem Wallace-Film entnommen zu sein, nicht etwas erinnert an Durbridge außer dem Namen des Protagonisten, der genauso gut John Miller oder Peter Smith lauten hätte können, ohne etwas an der Handlung zu ändern. Die schmuddeligen Hafenkneipen, Massenmorde, nebligen Hafenstücke, Schießereien und Verfolgungsjagden, der eingestreute Humor und der von einem Barmädchen vorgetragene Song J’ai peché sorgen dafür, dass es sich bei diesem Film um eine hundertprozentige Epigone handelt, die quasi "echter" als manche "echten" Wallace-Filme sind (was man im übrigen auch von Beiträgen wie Der Würger von Schloß Blackmoor (1963) oder mit Vorbehalt auch von Sieben Tote in den Augen der Katze (1973) behaupten kann). Dass weder der eine noch der andere Film besonders erfolgreich waren liegt wohl auch daran, dass man mit Durbridge-Erwartungen in den Kinosaal ging und diesen vollkommen enttäuscht angesichts der Tatsache verlassen musste, dass nichts – aber auch wirklich nichts – an den großen britischen Meister erinnerte.

Einen anderen Meister der Kriminalliteratur bemühte man für den Film Sherlock Holmes und das Halsband des Todes (1962). Arthur Conan Doyles Figur des berühmtesten Meisterdetektivs der Literaturgeschichte wurde hier dazu missbraucht, um das Publikum unter Vorspielung falscher Tatsachen ins Kino zu locken. Einerseits basiert das Drehbuch nur sehr vage auf den Vorlagen, andererseits ist dieser Krimi kein Whodunit-Film. Dies muss nicht unbedingt ein Nachteil sein, doch Spannung entsteht hier weder aus der Dramaturgie noch aus der Inszenierung heraus. Überhaupt erinnert die Handlung so gut wie nicht an Edgar Wallace. Daher ist stark zu hinterfragen, warum diese Produktion (nur aufgrund der Beteiligung einer deutschen Filmfirma und einiger deutscher Darsteller) immer als Epigone aufgeführt wird. Ebenso verhält es sich übrigens mit den einigen Dr.-Mabuse-Filmen, die in ihrer Dramaturgie und mangels Whodunit überhaupt nicht zum Schema der klassischen Wallace-Filme passen. Wäre dem so, dann müsste man auch den Science-Fiction-Krimi Ein Toter sucht seinen Mörder (1964, Regie: Freddie Francis) mit in die Liste aufnehmen, zumal hier sogar Siegfried Lowitz und Dieter Borsche agieren. Das Problem liegt wohl auch darin, dass es bei diesen Filmen oft nicht eindeutig Schwarz oder Weiß gibt, sondern dass die Übergänge oft sehr fließend sind und dass man daher keine starken Grenzen ziehen kann.

Abschließend muss hier noch ein Punkt erwähnt werden, der - wenn man von Epigonen spricht - unbedingt erwähnt werden sollte und bisher meines Wissens nirgends hinterfragt wurde. Es handelt sich dabei um die Umkehrung des üblichen Weges, gewissermaßen von der Epigone zum "Original". Als Artur Brauner Dario Argentos ersten Spielfilm Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe/ L’uccello dalle piume di cristallo 1969 koproduzierte, war er seinem „ärgsten“ Konkurrenten Horst Wendlandt erstmals ein Stück voraus. Im Gegensatz zum von Rialto produzierten Film Das Gesicht im Dunkeln/ A doppia faccia hatte das Debüt des italienischen maestro del brivido (Meister des Grusels) einen überragenden Erfolg. Nun mutet es mehr als seltsam an, dass ausgerechnet Rialto Film 1971 zwei deutsch-italienische Filme ins Wallace-Rennen schickte, die sich in Handlung und Dramaturgie gänzlich am durch den Argento-Film ausgelösten Giallo-Boom orientierten und die sich überhaupt nicht mehr auf die so typischen 1960er-Merkmalen beriefen. Hier gab es ein Kuriosum, dass in der Filmgeschichte wohl einmalig (und wenn nicht, dann sehr selten) sein dürfte: auf Basis einer als Edgar-Wallace-Epigone verkauften Produktionen vermarktete man nun plötzlich daran inspirierte Filme als Original (nicht zu vergessen ist, dass man sogar noch einen dritten Film, Duccio Tessaris Blutspur im Park/ Una farfalla dalle ali insanguinate (1971), ins Rennen schicken wollte).

Da in der einschlägigen Literatur (Kramp (³2005), Hohmann (2011)) teilweise ziemlich willkürlich dabei verfahren wird, was als Epigone anzusehen ist und was nicht, sollten die in diesem Artikel angestellten Überlegungen dazu anregen, auf Basis von gewissen, zu definierenden und diskutierenden Faktoren es endlich möglich zu machen, bisher gelistete Filme, die teilweise nur auf Grund ihres Entstehungsjahres und ihrer Besetzung gelistet wurden (etwa Mörderspiel (1960) oder Ein Alibi zerbricht (1963)) aus der Epigonen-Liste endlich zu eliminieren und andere (wohl auch aufgrund fehlender DVD-Veröffentlichungen) bisher unbekanntere Filme endlich zu integrieren. Die Wichtigkeit der notwendigen Merkmale für die Zuordnung sollte dabei gereiht (etwa Handlung vor Handlungsort, Whodunit vor Gangstergeschichte etc.) und Besetzung und Aufnahmestab sowie Entstehungsjahr in die zweite Reihe verbannt werden. Schließlich ist noch unbedingt festzuhalten, dass ein Edgar-Wallace-Film per definitionem immer als solcher zu betrachten ist, sobald er als solcher beworben wurde oder auch als solcher im Vorspann genannt wird. Dies bemerke ich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass manchmal Filme außerhalb der Rialto-Reihe schon als Epigonen genannt werden und andererseits Produktionen aus der Endphase der Serie häufig nur widerwillig als "echte" Wallace-Filme geduldet werden (so auch von mir). Ein gründliches Überdenken der Zuordnung von Filmen in die deutsche Edgar-Wallace-Reihe und ihrer Epigonen ist dringend angebracht.

 

Bibliographische Hinweise:

Hohmann, Tobias (2011): Der klassische Kriminalfilm: Edgar & Bryan Edgar Wallace. Nürnberg: MPW.
Kramp, Joachim (³2005): Hallo! Hier spricht Edgar Wallace. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf.
Tses, Christos (2002): Der Hexer, der Zinker und andere Mörder. Essen: Klartext.

Links:

Das Edgar-Wallace-Forum
Diskussion: Typischster Wallace-Film
Diskussion: Typische Wallace-Atmosphäre
Diskussion: Definitionen Epigonen, Stilverwandt & Co.

Text: © Dr. Georg P. (Die Krimihomepage, 2011/12)

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am: 07.02.2014

Die Krimihomepage - www.krimiserien.de.vu - © 2000-2014 - Kontakt: krimiserien (AT) hotmail.com